Leseprobe
(Es muss sich änder, wenn es bleiben soll, wie es ist.)
Ich stelle mir die Frage, wann wir angefangen haben, die Welt so zu drangsalieren.
Dabei habe ich selbst, in dem Glauben an den technologischen Fortschritt, an Wasserstoff, e-FUELs und den fortwährenden Durchbrüchen in der Kernfusionsforschung, den Klimawandel lange Jahre nie wirklich als reale Gefahr wahrgenommen.
Als Industrienation sah ich unsere Verantwortung in der Forschung und Entwicklung der Energiewende. Klimaneutralität durch Technologieoffenheit. Und wenn wir auf dem Weg dahin noch ein paar Jahrzehnte weiter Kohletagebauten betreiben müssen – dann bitte sehr.
Ich war gegen die CO2-Besteuerung, weil ich das Konzept nicht verstand. Vermutlich bis höchstwahrscheinlich wäre ich auch gegen ein Verbrenner- und Gasheizungsverbot gewesen. Im Prinzip war ich gegen alles, was Geld kostet.
Nicht nur, weil es ja auch um den eigenen Geldbeutel geht. Es erschien mir auch als eine Gefahr für die Sache an sich, wenn die Energiewende zu sozialem Unfrieden führt.
Im Nachhinein gesehen war mein Freiheitsbegriff aber doch sehr egozentrisch geprägt. Denn während die eingeführte CO2-Steuer das Leben hier nur marginal verteuert hat, machen Dürren und Überschwemmungen andere Teile dieser Erde unbewohnbar und ganze Völker heimatlos.
Die „Oh- Shit“-Momente häufen sich. Schrecksekunden, in denen wir uns denken: „Puh. Da haben wir aber ganz schön was vermasselt.“
9/11 und Fukushima waren solche „Oh-Shit“-Momente. Sie beeinflussen Umfragen, gesellschaftliche Stimmungsbilder und haben Auswirkungen auf politische Wahlen.
Schon mehrfach hat uns der Klimawandel in der jüngsten Vergangenheit in Form von Orkanen, Unwettern, Pandemien und Waldbränden ins Gesicht geschlagen. Uns gewarnt. Und doch sind wir nur bedingt lernfähig.
Als Energieberater hätte ich die Zusammenhänge früh verstehen müssen. In der Theorie war mir alles auch vollkommen klar. Aber es war zu unvorstellbar, nicht greifbar.
Ich bin in einem Land groß geworden, in dem wir alles immer irgendwie geschafft haben.
Doch dann kam mein persönlicher „Oh-Shit“-Moment:
15.07.2021: Die Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal.
Erst mit 28 Jahren wurde mir bewusst, dass der Klimawandel auch vor unserer Haustür keinen Halt macht. Mich persönlich ärgert der Zeitpunkt dieser Erkenntnis zutiefst, denn theoretisch hätte ich ja auch auf Greta und die Millionen von SchülerInnen hören können, auf den Weltklimarat und Al Gore.
Aber ich wusste es ja besser.
Ich fing an zu lesen, schaute Dokumentationen über den Klimawandel, aber auch über die technologischen Möglichkeiten. Ich sprach mit Unternehmen, die ihren Umsatz damit machen, dass die Energiewende eben doch funktioniert: Weg von den CO2-Rohstoffen, hin zu erneuerbaren Energien.
Meine Überzeugung, dass die Fossilität der Gesellschaft der kollektive Suizid aller noch denkenden Menschen ist, basiert also auf einem Entwicklungsprozess.
Ich empfand es schlagartig als Ironie, dass Menschen, welche von klimatischen Folgen so gebrandmarkt wurden, bereit waren, wieder Gaskessel zu verbauen.
Wenn ich heute mit Menschen diskutiere, dann kann ich Argumente anders wahrnehmen, weil ich selbst lange Zeit so gedacht habe.
Und das ist der Grund für dieses Buch:
Perspektiven, Ansichten und Ängste aufgreifen und Zusammenhänge aus einem anderen Blickwinkel interpretieren.